An dem Workshop nahmen Alexandr W. Belobratow (Petersburg), Yasmin Hoffmann (Montpellier), Elisabeth Kargl (Nantes), Waltraud Kolb (Wien) und Helen Sinkovic (Zagreb) teil, darüber hinaus als Organisatorin Silke Felber und als Diskussionsleiter der Unterzeichnete. Es wurden die Übersetzungen des Romans Lust in vier Sprachen (Russisch, Französisch, Englisch, Kroatisch) vorgestellt und anschließend ihre Besonderheiten und Probleme anhand von ausgewählten Textpassagen diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit galt der Verbindung von sexueller Gewalt und ökonomischer Ausbeutung in Industrie und Tourismuswirtschaft, der Rolle der Religion, die in Lust ebenfalls mit der Sexualität enggeführt wird, und dem in dem Roman verwendeten sexuellen Vokabular und seiner Übersetzung.
Gezielt wurden auch Probleme der intertextuellen Verweise, allfälliger Kontakte mit der Verfasserin des Ausgangstexts und der kritischen Rezeption der Übersetzungen in der Zielkultur besprochen. Es zeigte sich, dass keine offenen Einflussnahmen auf die Textgestalt der Übersetzungen („Zensur“) durch Verleger, Lektoren u.a. zu beobachten waren, dass aber die Kritik den Text oft einfach als misslungen und schlecht beurteilte, was wohl hauptsächlich Ausdruck des Unbehagens an Jelineks drastisch-grotesker Darstellung der Sexualität ist. Auch gab eine Übersetzerin an, dass sie bei der Wiedergabe des sexuellen Vokabulars zögerte, das „schlimmstmögliche“ Wort zu verwenden und sich mitunter für einen milderen Ausdruck entschied. Was die Übersetzungsstrategien betrifft, so zeigt sich eine breite Palette: die englische Übersetzung ist vergleichsweise frei, sie nützt die Möglichkeiten der Zielsprache, um kreativ zu werden und eigene sprachlich-stilistische Akzente, z.B. in Form hinzugefügter Wortspiele, zu setzen. Die russische Übersetzung erscheint im Vergleich dazu treu, wenn auch die intertextuellen Verweise Schwierigkeiten machen, weil sie aufgrund kultureller Differenzen von Lesepublikum und Kritik kaum adäquat verstanden werden. Auch die kroatische Übersetzung verfolgte das Ziel, eine möglichst getreue Nachbildung des Ausgangstextes herzustellen, die selbst sprachliche Klangeffekte imitiert, im Fall von sprichwörtlichen Redewendungen aber zu Äquivalenten in der Zielkultur greifen musste. Die französische Übersetzung legte darauf Wert, Tabubrüche als Brüche in Jelineks Sprachverwendung (ungewöhnliche Metaphern, Syntax des „langen Atems“) beizubehalten. Die Kontakte mit Elfriede Jelinek wurden von den Übersetzerinnen und Übersetzern als zufriedenstellend und hilfreich bezeichnet, in Zweifelsfällen gab sie ihnen die Vollmacht, eigenständige „poetische“ Formulierungen für problematische Stellen zu finden.
Die abendliche, ab 19 Uhr stattfindende öffentliche Präsentation und Diskussion der Ergebnisse des Workshops war äußerst gut besucht und zeichnete sich durch lebhafte Beteiligung seitens des Publikums, nicht zuletzt durch anwesende Studierende, aus. Auch wurde die Abendveranstaltung positiv in einem Bericht über die an diesem Tag abgehaltene „Lange Nacht der Wissenschaft“ in der Tageszeitung Der Standard hervorgehoben.[1]
Nachzuhören ist sie hier.
8.5.2014
Norbert Bachleitner Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Wien. Seit 2011 Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien. Mitherausgeber von Zeitschriften (z. B. Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur) und Publikationsreihen (z. B. Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft). Mitglied im Beirat zahlreicher internationaler Zeitschriften und Publikationsreihen, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich. Forschungsschwerpunkte: Der Roman vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Geschichte der literarischen Übersetzung, Digitale Literatur, Literarische Zensur. Mitglied der Forschungsplattform Elfriede Jelinek.
[1] Vgl.: Thaler, Selina: Wenn Forscher sich als Fliegen verkleiden. http://derstandard.at/1395364647264/Wenn-Forscher-sich-als-Fliegen-verkleiden, 8.4.2014 (8.5.2014).
ZITIERWEISE
Bachleitner, Norbert: Abschlussbericht zum Übersetzungsworkshop „Jelineks Sprache für Sexualität”. https://jelinektabu.univie.ac.at/moral/sexualitaet/norbert-bachleitner/ (Datum der Einsichtnahme) (= TABU: Bruch. Überschreitungen von Künstlerinnen. Interkulturelles Wissenschaftsportal der Forschungsplattform Elfriede Jelinek).
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